AbKunstfälle | Aus den Augen. Auf den Schirm. | Kulturerbeanalyse

An den Abfall will man sich nicht erinnern: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Der Abfall will erinnert werden: Aus den Augen. Auf den Schirm.

Die „Re-Präsentation“ des Abfalls im Sinne einer Wiedersichtbarmachung geschieht durch eine installierte Funkkamera, die das Wegwerfen des Abfalls in den Abfallbehälter und den still liegenden Müll im Abfallbehältnis auf einen Bildschirm im Ausstellungsraum über Funk überträgt. Die übertragenen Bilder haben dabei durch unvermeidliche Funkstörungen selbst den Charakter von „abgefallenen“, wertlosen Bildern oder verblassten und verzerrten Erinnerungen.

AbKunstfälle | Aus den Augen. Auf den Schirm. | Kulturerbeanalyse (Videostill), Copyright J.Georg Brandt

Auch am Abfall, dem Zurückgelassenen, dem als Ballast und als wertlos Befundenen lassen sich Rückschlüsse auf eine Kultur und soziale Kontexte (hier Kunstszene) ziehen und u.U. unentdeckte Facetten erkennen. Der Abfall ist in gewisser Weise ein Kulturerbe, das aus der Erinnerung verbannt wird. Oft kommt dieses Erbe erst dann in den Sinn, wenn es nicht mehr zu verheimlichen ist, eine Gefahr darstellt (Atommüll, giftige Zusammensetzungen auf Mülldeponien etc.) oder in Gefahr gerät („Blue Shield International“). Das Blau des Müllsackes spielt an die häufig in Blau gehaltenen Hinweisschilder bei Kulturgütern wie Denkmälern und das „Blue Shield International“ an.

Wahrscheinlich lässt dies einige Rückschlüsse auch auf kulturelle, ökonomische und symbolische Kapitale (Bourdieu) in diesem Ausstellungskontext zu, wenn man andere Mülleimerinhalte in anderen Kontexten dazu vergleicht (das soziale Kapital wird in einem Mülleimer wohl eher nicht sicht- bzw. analysierbar sein).

In diesem Sinne ist die Installation eine Probe und ein Angebot, die eigene Kultur durch den Abfall zu betrachten und sich diese in Erinnerung zu rufen.

Abkunstfälle – Funkkameraübertragung auf Monitor (Copyright J.Georg Brandt)

Zeitdimensionen/Sedimente/Archiv
Die Arbeit thematisiert mehrere Zeitregime oder -dimensionen:

1: Da der Abfallbehälter in einem anderen Raum steht als das per Funkkamera produzierte Bild des Hineinwerfens des Abfalls auf einem Bildschirm, kann eine Person alleine die produzierten Bilder nicht sehen. Es benötigt die Koordination (und damit Kommunikation) mindestens zweier Personen.

2: Die „Schichtung“ des Abfalles, die sowohl im Abfallbehälter selbst, aber auch auf dem übertragenen Bild auf dem Monitor zu sehen ist, ist eine Sedimentation kultur-konsumistischer Entwicklungen einer Ausstellung und gibt Aufschluss auf kulturelle Grammatiken in diesem sozialen und kulturellen Kontext, den man auch sozio-ökonomisch interpretieren könnte – vor allem in einem Vergleich mit anderen Orten, an denen Abfall anfällt (Bahnhöfe, Parks etc.).

3: Die produzierten Abfallbilder können als Archiv gelesen werden, welches bisher wenig Aufmerksamkeit erhält – wenn auch mittlerweile Analysen von Abwässern erfolgen und interessante sozio-kulturell-ökonomische Ergebnisse zutage gefördert werden (Studie: https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1910242116, zusammengefasst hier: https://www.heise.de/tp/features/Aus-dem-Abwasser-lassen-sich-soziodemografische-Rueckschluesse-ziehen-4555404.html).

AbKunstfälle | Aus den Augen. Auf den Schirm. | Kulturerbeanalyse
2022
Funkkamera, Bildschirm, Schild
Maße variabel

Kontextblatt als PDF

Einladungskarte zur Ausstellung „Erinnerung“ (PDF)